Einsatzmöglichkeiten

Das klassische Standbild kann sowohl zur initialen Aktivierung, während der Erarbeitungsphase als auch zur Präsentation von Reflexionsergebnissen eingesetzt werden. Einige Grundlagen der Umsetzung werden schrittweise mit der Gruppe eingeübt, bevor die Erweiterung und thematische Übertragung auf abstraktere Themenfelder erfolgen.

Standbilder können beispielsweise im Literaturunterricht dazu dienen, Figurenrollen und -konstellationen abzubilden, Spannungsfelder und Beziehungsmuster zu visualisieren oder gezielt einzelne Szenen anschaulich darzustellen. In anderen Fächerkontexten eignet sich diese Form der aktiven Veranschaulichung auch dazu, einen genaueren Blick im Unterricht behandelte Sachverhalte anzuregen: So lassen sich die im Folgenden vorgeschlagenen Methoden auch auf den Religions-/ Ethikunterricht, Fremdsprachenunterricht und z.B. auf die Fächer Politik und Gesellschaft  sowie Geschichte übertragen.

Grundlegend sind beim Standbildbauen drei Phasen, die sich, je nach Unterrichtsziel, in unterschiedlicher Intensität umsetzen lassen. Die Anleitung kann bei geübten Bildhauer:innen abstrakter gehalten und eventuell schon auf nur einen Begriff reduziert werden – in zuvor festgelegten (oder auch spontan durch ein Bewegungsspiel zusammengewürfelten) Gruppen steht nicht nur die Gesamtkomposition, sondern auch Detailarbeit in der Visualisierung einer Szene im Fokus. Nach der Ausgestaltung eines einzelnen Frames oder einer Serie wird das Standbild von den Darstellenden im Freeze gehalten: Die Teilnehmenden bewegen sich möglichst nicht und erlauben den Betrachtenden, einen Eindruck vom Abgebildeten zu bekommen. Meist folgt auf das erste, beiderseits stille Wahrnehmen eine Reflexionsphase, in der Fragen gestellt oder Eindrücke sortiert werden können. Es bietet sich an, in Gruppen entstandene Standbilder nacheinander zu betrachten und im Anschluss zu besprechen, um den visuellen Eindruck als Gesprächsanlass zu nutzen.

Ablauf

Vorbereitung

Es bietet sich an, das Standbild-Bauen mit der Gruppe schrittweise einzuüben, damit die für eine erfolgreichen Einsatz erforderlichen Grundlagen wie das Halten des Freeze und eine bewertungsfreie und sichere Arbeitsatmosphäre selbstverständlich werden. Dazu kann das Visualisieren beispielsweise erst individuell zur Gewohnheit gemacht werden: Die Schüler:innen bewegen sich (z.B. zu Musik) frei im Raum und bilden auf ein Signal hin spontan eine Emotion ab oder stellen eine Figur oder ein Stichwort dar und halten Freeze kurz. Als Weiterführung kann dann in Partner:innen- oder Gruppenarbeit ein gemeinsames, interagierendes Bild entworfen werden. Auch das Betrachten und Kommentieren der Standbilder sollte geübt werden: In einer wertschätzenden Rückmeldung dürfen sich Beobachtende zu Wort melden, Interpretationen einbringen oder Fragen stellen. Das Abgebildete soll zum Gespräch anregen, weshalb sowohl der zunächst passiven Beobachter:innenrolle, als auch der aktiven Perspektive der Darstellenden genug Raum zur Reflexion eingeräumt werden. Beide Gruppen können durch ihre jeweilige Art der Teilhabe profitieren, da sich z. B. komplexe Zusammenhänge im Räumlichen besser begreifen und beschreiben lassen und sich Dynamiken schon in der reduzierten Darstellungsform von den Beteiligten emotional erleben lassen.

Eine Vielzahl von Variationen des Methodenmusters steht für den Unterricht zur Verfügung. Wir haben drei ausgewählt, die für einen diskursiven BNE-Unterricht besonders geeignet sind:

1. Standbild bauen

In dieser Variante wird das klassische Verständnis einer aktiven darstellenden Person und der passiveren BeobachterInnenrolle aufgebrochen: in Partner:innen- oder Kleingruppenarbeit wird mindestens eine Person zum Bildhauer oder zur Bildhauerin, die den aktiven Part  der Konzeptualisierung des durch andere Teilnehmende entstehenden Standbildes übernehmen. Der/die Bildhauer:in oder die Gruppe der Skulpteure stellt die „Bildgebenden“ zueinander in Beziehung und setzt die Skulptur in Szene, indem, je nach vorheriger Absprache, durch stille Signale wie Antippen oder Spiegeln der Körperhaltung oder durch entsprechende ausformulierte Regieanweisungen eine komplexe Standfigur im Freeze entsteht. Im Plenum kann anschließend beschrieben und diskutiert geraten oder diskutiert werden, was dargestellt wird, Beobachten können zu den Beziehungen oder Positionierung der Figuren zueinander angestellt und bei der Betrachtung empfundene  Emotionen geäußert werden. Noch im Freeze oder nach Auflösung des Standbildes können auch die Standbilddarstellenden nach Emotionen oder Kommentaren in ihrer Rolle befragt werden und ein anschließender Diskurs eröffnet werden.

Es ist auch möglich, mit einem Standbild einzusteigen und dann die Gruppe der Betrachtenden aktiv werden zu lassen, indem Einzelne nacheinander als Bildhauende Veränderungen am Dargestellten vornehmen, indem sie z.B. durch Antippen oder Demonstration eine Körperhaltung verändern – oder eine der darstellenden Personen im Bild durch eigenes Freeze ablösen und so Einfluss auf die Dynamik und Gesamtaussage oder einzelne Details des Standbildes nehmen können.

2. Klangskulptur

Auch die Klangskulptur ist eine Variation des Standbildes, die den Aspekt der Visualisierung durch den Aspekt der Audiovisualität erweitert. In dieser Methode steht die Interaktivität einer komplexen Standbild-Struktur in Fokus, die die Bildlichkeit durch eingeschränkt zulässige Bewegung und Tonalität in der Wahrnehmungsqualität steigert.

Abstrakte Begriffe / Teilbegriffe können durch die Teilnehmenden in Form eines Geräuschs, eines Tons oder einer Melodie abgebildet werden. Dazu werden die Begriffe / Teilbegriffe mit Karten zugeteilt, die Lernenden bekommen Zeit, eine Idee zu entwickeln.

Eine Person erhält die Aufgabe, die einzelnen Klänge zusammenzusetzen und dirigierend zu organisieren: So können einzelne Beiträge lauter oder leiser präsentiert werden, gleichzeitig oder nacheinander. Auch das Auf- und Abschwellen sowie unterschiedliche Tempi werden durch Gestik erreicht.

Nach Beendigung eines Durchgangs werden die Erfahrungen beider Seiten reflektiert, eine weitere Person übernimmt dann die Rolle der Dirigentin/des Dirigenten. Auch hier erfolgt wieder ein Erfahrungsaustausch, dieses Mal wird auch der Vergleich der unterschiedlichen Klangergebnisse thematisiert.

Eine komplexe Klangfigur kann beispielsweise aus den 17 SDGs zusammengestellt werden: Das musikalische Thema lautet Nachhaltigkeit – die Klänge zu den einzelnen Nachhaltigkeitszielen werden durch die dirigierende Person arrangiert.

3. „Theater der Unterdrückten“ nach Augusto Boal

Die vom brasilianischen Theaterregisseur Augusto Boal entwickelte Methode dient in ihrer theaterpädagogischen Abwandlung in pädagogischen Settings dazu, Konfliktsituationen räumlich abzubilden und Problemlösungsstrategien zu erproben. Durch die aktive Darstellung von Machtverhältnissen und Hierarchien werden diese sichtbar und können im Gespräch problematisiert werden. Teilnehmende werden in ihrer Handlungsbefähigung unterstützt, da das Ziel darin liegt, das abgebildete Standbild insofern zu verändern, dass die dargestellte Dysbalance ausgeglichen und zum optimal Denkbaren hin umgebaut wird. In diesen Prozess werden alle Betrachtenden einbezogen, die typische Passivität eines Publikums wird demnach in Teilhabe umgewandelt. Das „Theater der Unterdrückten“ ist eine Methode, die von Kommunikation lebt – das Dargestellte wird in seiner Ungleichheit analysiert und durch verschiedene Versuche der Veränderung können Lösungsmöglichkeiten der abgebildeten Situation erprobt werden.

Gemeinsam wird also zunächst eine Problematik erkannt und benannt, dann, im Sinne der Handlungsbefähigung, symbolisches Probehandeln gefördert. Als konstruktive Problemlösungsstrategie der Theaterpädagogik werden interaktiv und kollaborativ Handlungsansätze zur Verbesserung der performativen Situation entwickelt, die möglichst ein optimales Ausgleichen der Verhältnisse erlauben.

Das „Theater der Unterdrückten“ befasst sich mit der Darstellung gesellschaftlicher Konflikte, Missstände, diskriminierten Gruppen  oder Umständen, die Ungerechtigkeit fördern. Methodisch sollen diese hier im Standbild symbolhaft verbildlichten Ausgangslagen zum Anlass genommen werden, in den Diskurs zu treten und Handlungsoptionen zu besprechen. Konflikte können so durch das szenische Eingreifen natürlich nicht real gelöst werden; der Fokus liegt darauf, eine optimalen Endzustand zu imaginieren, um so eine unterrichtliche Diskussion an das konkrete Beispiel anschließen zu können.

In der Theaterpädagogik ist das „Theater der Unterdrückten“ auch als „Forumtheater“ dafür bekannt, die Sichtbarmachung von Konflikten und Dysbalancen zu unterstützen und für eine ausgleichende Handlungsbefähigung zu sensibilisieren. Gerade die benachteiligten Gruppen sollen darin bestärkt werden, sich für Gerechtigkeit einzusetzen.

Im Unterrichtskontext kann diese Abwandlung des geläufigen Standbildes zur Thematisierung von im Lernumfeld behandelten konkreten Konflikten oder Situationen eingesetzt werden, in nahem Bezug zum Klassenkontext auch Dynamiken innerhalb der Lerngruppe aufgreifen – oder z.B. im Literaturunterricht abstrakteren Fokus auf in der Lektüre behandelte Perspektiven legen.

Ablauf:

Ähnlich dem Standbild-Bauen werden in Kleingruppen einzelne Standbilder entwickelt, die hier eine Konfliktsituation oder problematische Machtverteilung darstellen. Die Wahl des Dargestellten kann durch die Gruppe oder Zuteilung durch die Lehrperson erfolgen, Abstrakta oder konkrete Bezüge behandeln.

Im Freeze wird die jeweilige Benachteiligung – oder Bevormundung einzelner Personen oder Elemente der Bildkomposition z.B. durch die Interaktion, Positionierung oder Mimik Einzelner deutlich, aus der Betrachtung wird ersichtlich, wie Freiheiten durch die Umstände oder den Einfluss anderer eingeschränkt werden.

Die „Forumsphase“ wird durch einen stillen Impuls  oder von einer Moderationsperson geleitet, nun wird das Publikum aktiv: Die Betrachtenden versuchen, das Dargestellte zu ergründen. Sie erkunden das Standbild, können, wie in einem Museum, darum herumgehen und verschiedene Blickwinkel einnehmen. Sollte im Vorhinein dem Publikum nicht klar sein, was dargestellt ist, können nun, während das Freeze der Darstellenden weiter gehalten wird, Mutmaßungen angestellt und das Gesehene in der Gesamtwirkung besprochen werden.

Zentral ist die Fragestellung nach einer Verbesserungsmöglichkeit der Situation. Die Gruppe sammelt nach ihrer Beschreibung und Analyse des sich ergebenen Bildes Ideen für eine szenische Umgestaltung der Situation; hier können Vorschläge zur Umpositionierung einzelner Teilnehmenden, zur Veränderung von Mimik oder Gestik angebracht werden und kreative Umdeutungen angestoßen werden (so könnte ein beengendes Eingrenzen einer Person durch entsprechende Armstellung anderer zu einer beschützenden Geste der Zuwendung werden). Die Vorschläge werden an die Darstellenden weitergegeben, die jeweilige Änderungen am Standbild umsetzen und so konkrete Alternativen bildlich darstellen, bis sich die Gruppe einigt, von der Ausgangssituation aus den optimalen Zustand erreicht zu haben.
Alternativ können einzelne Beobachterpersonen auch Darstellende im Freeze durch Antippen ersetzen, deren Position im Standbild einnehmen und durch andere Haltung die Gesamtaussage verändern. Diese stille Variante sollte durch eine ausgedehntere Besprechung erweitert werden, um die diskursiven Anteile gemeinsamer Handlungsbefähigung nicht zu vernachlässigen.

Reflexion:

Nach der Auflösung des Standbildes berichten die Darstellenden und Beobachtenden jeweils von ihrem Empfinden während der Darstellung und des Betrachtens – besonders vom Einfluss der angebrachten Lösungsvorschläge und wie sich das Dargestellte durch diese Veränderungen gewandelt hat.

Rückbezüge auf das im Standbild veranschaulichend Abgebildete werden angestellt, diskutiert und verhandelt. Die erdachten Handlungsmöglichkeiten bieten weitere Anschlussmöglichkeiten für die Behandlung im Unterricht; so könnte sich z.B. im Literaturunterricht eine Verschriftlichung der besprochenen und erprobten Handlungsalternativen anschließen.

Differenzierungsmöglichkeiten

  • Ist das Konzept eines Standbildes für eine Lerngruppe noch unbekannt, kann es unterstützend wirken, zunächst weniger komplexe Abbildungen darstellen zu lassen und kleinschrittig vorzugehen, indem gemeinsam konkrete Bilder nachgestellt werden. Am Beispiel eines Fotos, das von den Lernenden nachgebildet werden soll, wird so deutlich, dass einzelne SchülerInnen im Freeze die Rolle einer Person einnehmen.
  • Um die Bildhaftigkeit eines Standbildes im Vergleich zu einem Theaterspiel oder bewegten Bild deutlich zu machen, kann die Gruppe der Betrachtenden mit einer (imaginären) Kamera ausgestattet werden und den Auftrag bekommen, durch die gedachte Linse zu blicken und das Bild festzuhalten; dieser Schritt bekräftigt sowohl die Anforderung an die Darstellenden, stillzustehen, sowie die Beobachtungsaufgabe der Betrachtenden.
  • Mit dem Theater der Unterdrückten könnten auch auf weniger komplexe Konfliktsituationen abgebildet und durch Änderungen am Dargestellten zum Positiven verändert werden: Bildkarten, die eine problematische Konstellation (z.B. das Ausschließen einer Person von der Gruppe, Streit mit den Eltern, …) zeigen, können Kleingruppen helfen, ein ähnliches Standbild nachzustellen und erleichtern, die Positionierung in der dargestellten Dynamik einzunehmen.

Mehr Informationen zu grundlegenden Differenzierungs­möglichkeiten

Quellenverzeichnis

Bundeszentrale für politische Bildung: Forumtheater. Abrufbar unter: Forumtheater | Kulturelle Bildung | bpb.de (Stand 15.05.2024)

Vielfalt Mediathek: kurz erklärt: Forumtheater. Abrufbar unter: KURZ ERKLÄRT: FORUMTHEATER – Vielfalt Mediathek (vielfalt-mediathek.de) (Stand 15.05.2024)