Hintergrundinformationen
In Deutschland werden jährlich über 18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel weggeworfen, von denen aber etwa 10 Millionen vermeidbar wären. Davon „sind über 60 % auf die Wertschöpfungskette vom Produzenten bis hin zum Großverbraucher zurückzuführen [und] fast 40 % liegen beim Endverbraucher“ (Cartsburg & Noleppa 2015, S. 7 – 9). Allgemein unterscheidet man zwischen Lebensmittelverlust und -verschwendung. Produkte, die verloren gehen oder verderben, bevor sie in den Handel kommen, werden als Lebensmittelverluste bezeichnet – ein Beispiel hierfür ist eine Kartoffel, die vom Hänger gefallen ist. Verschwendung hingegen ist dann der Fall, wenn Lebensmittel weggeworfen werden, obwohl sie noch zum Verzehr geeignet wären, wie z.B. eine Banane mit braunen Flecken. Auch nachteilige Koch- und Einkaufsgewohnheiten oder eine falsche Lagerung der Lebensmittel sind Gründe für die Verschwendung. Weiterhin differenziert man zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren Abfällen. Vermeidbar sind alle Lebensmittelabfälle, die zum Zeitpunkt des Wegwerfens noch genießbar waren oder bei richtiger Zubereitung genießbar gewesen wären (BMEL 2019b). Der überwiegende Teil der Verbraucher:innen erwartet perfekte Ware, dabei spielt die Optik eine wesentliche Rolle. So bleiben beispielsweise 40-50% der Kartoffeln bei der Ernte auf dem Acker liegen, da sie den Vorgaben und Industriestandards nicht entsprechen (vgl. Thurn 2011). Auch zu krumme Karotten oder Gurken schaffen es nicht in den Supermarkt. Dort wird zudem oft bis spät abends das komplette Sortiment angeboten, weshalb nach Ladenschluss häufig Frischware weggeworfen werden muss. Dazu kommt, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum suggeriert, dass die Nahrungsmittel danach nicht mehr genießbar sind und ihren Verkauf nur noch bedingt zulässt, was in der Regel die Entsorgung eigentlich noch essbarer Lebensmittel zur Folge hat. Dabei besagt dieses Datum lediglich, dass Lebensmittel mindestens bis zu diesem Termin, aber meist problemlos auch noch darüber hinaus ohne Geschmacks- und Qualitätseinbußen genossen werden können (vgl. Klaubert, 2011).
Die Produktion von Lebensmitteln verbraucht weltweit enorm viele Ressourcen, ihr Verlust und ihre Verschwendung sind daher aus ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Gründen so weit wie möglich zu vermeiden. Für ein Kilogramm Äpfel z.B. werden ca. 800 Liter Wasser, Energie und menschliche Arbeitskraft benötigt; die Produktion von tierischen und verarbeiteten Lebensmitteln erfordert noch weitaus mehr wertvolle Ressourcen (vgl. zum Folgenden BMEL 2019b). Dieser hohe Verbrauch wirkt sich auf die Umwelt aus: Insgesamt 30% der Treibhausgase sind auf die Lebensmittelherstellung zurückzuführen. So entstehen beispielsweise 550g CO2-Äquivalente bei der Herstellung eines Kilogramms Äpfel. Tierische Produkte haben eine noch schlechtere Klimabilanz vorzuweisen, da hier zum einen mehr Energie für die Verarbeitung verbraucht wird und zum anderen die Wiederkäuer selbst auch klimaschädliche Gase wie Methan erzeugen. Aufgrund der Verschwendung müssen zudem entsprechend mehr Lebensmittel produziert werden, was den Ressourcenverbrauch und den CO2-Ausstoß wiederum erhöht. Außerdem steigen dadurch die Lebensmittelpreise am Weltmarkt, worunter v.a. Menschen im Globalen Süden leiden, da sie meist einen erheblichen Teil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben müssen. Aus diesen Gründen lautet eine zentrale Forderung der EAT-Lancet-Commission, Lebensmittelverlust und -verschwendung drastisch zu minimieren – im „Food in the Anthropocene“-Report von 2019 wird als eine von fünf Strategien für eine „Transformation der Ernährung“ eine Reduzierung um die Hälfte gefordert (EAT-Lancet Commission 2019). Es existieren bereits viele Möglichkeiten um Lebensmittel zu retten und bei denen sogar die Unternehmen Verluste einsparen (z.B. Too Good To Go, 2023).
Ablauf
Benötigtes Material
Digital verfügbar:
- Arbeitsauftrag, Infotexte und Lückentexte für die Partnerarbeit
- Informationen zur Unterrichtseinheit für Lehrkräfte vom BMEL
Noch zu ergänzen:
- Lebensmittel mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum, beschädigter Verpackung oder Flecken
- ein Topf, ein (sauberer) Eimer
- Aussagen für das Positionsspiel
- Als Einstieg in die Unterrichtseinheit ordnen die Schüler:innen mitgebrachte Lebensmittel mit beschädigter Verpackung, Flecken oder abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum jeweils den Kategorien „in die Tonne“ oder „in den Kochtopf“ zu.
- Anschließend findet das sog. Positionsspiel im Plenum statt, das eine Phase der Selbstreflexion einleitet. Hierfür liest die Lehrperson verschiedene Aussagen vor wie bspw. die folgenden:
- Wie wir leben, ist das regelmäßige Wegwerfen von genießbaren Nahrungsmitteln unvermeidlich.
- Ich versuche privat so wenig Lebensmittel wie möglich wegzuwerfen.
- Das Regal im Supermarkt muss immer voll und die Auswahl möglichst groß sein, auch wenn das heißt, dass man Lebensmittel wegwerfen muss.
- Krumme Gurken oder zu große oder kleine Kartoffeln gehören nicht in die Gemüseabteilung.
- Es ist die Aufgabe des Supermarktes, etwas gegen die Verschwendung von Nahrungsmitteln zu unternehmen.
Die Schüler:innen beziehen jeweils Stellung im Raum: Sie positionieren sich am Ende des Klassenzimmers, wenn sie die Aussage ablehnen, im vorderen Bereich, wenn sie zustimmen. Zudem ist es möglich, eine Zwischenposition einzunehmen. Nach jeder neuen Positionierungsphase interviewt die Lehrperson einzelne Schüler:innen zu der von Ihnen gewählten Position, die auch aufeinander Bezug nehmen können. Ziel ist es, einen Austausch über die hinter ihren Entscheidungen befindlichen Werte zu ermöglichen. In der Diskussion aufkommende Fragen können ggf. auch später im Plenum noch einmal aufgegriffen werden.
- In der nächsten Phase erschließen sich die Schüler:innen das Thema der Unterrichtseinheit anhand des Bildungsmaterials „Zu gut für die Tonne“ (vgl. BMEL 2019b). Die Lehrperson verteilt fünf (Lücken-)Texte in der Klasse, sodass jeweils ein Tandem einen Themenbereich bearbeitet. Mithilfe dieser Texte werden Begrifflichkeiten wie Lebensmittelverschwendung, Lebensmittelverlust, vermeidbare und nicht vermeidbare Abfälle geklärt, aber auch ethische Fragen wie der Wert eines Lebensmittels angesprochen.
- Im Anschluss daran werden von den einzelnen Tandems die entsprechenden Themenbereiche vorgestellt und von der Lehrperson zugleich die Korrektheit der erarbeiteten Lösungen überprüft. Dadurch bekommt jedes Team Rückmeldung zu seinem eigenen Arbeitsgebiet und lernt zugleich die Themenbereiche der Mitschüler:innen kennen. So wird deutlich, welche Folgen die Lebensmittelverschwendung auf lokaler und globaler Ebene hat und die Schüler:innen reflektieren, welche Werte sie bzw. die Gesellschaft im Kontext der Lebensmittelproduktion für relevant einschätzen. In den Diskussionsphasen üben die Schüler:innen zudem, sich eine eigene Meinung zu bilden und ihre Werte zu vertreten.
- Davon ausgehend gilt es, der Problematik von Lebensmittelverschwendung aktiv zu begegnen und Lösungsvorschläge zu entwickeln. Handlungsalternativen können den Schüler:innen zum Beispiel durch einen eingeladenen Gast der Initiative Foodsharing oder einer ähnlichen vor Ort aktiven Organisation aufgezeigt werden: Der „Foodsaver“ stellt die Initiative und ihre Strategien vor, gibt wertvolle Tipps für den Alltag und geht auf die Fragen der Schüler:innen ein. Außerdem kann er gerettete Lebensmittel mitbringen, um zu veranschaulichen, dass Lebensmittel, die für den Müll bestimmt waren, oft noch ohne Weiteres genießbar sind. Die Schüler:innen werden hierdurch zur Selbstreflexion und Selbstaktivität im bewussten Umgang mit Lebensmitteln angeregt. Die Kontaktaufnahme mit externen Organisationen lohnt sich auch deshalb, weil Schüler:innen dadurch in Kontakt mit lokalen Akteur:innen kommen, diese als authentische Vorbilder dienen können und zugleich – auch mit Blick auf eine politische Mündigkeit – Möglichkeiten der Selbstwirksamkeit im lokalen Raum erkannt werden.
- In der Folge können Überlegungen angestellt werden, an welcher Stelle im Schulalltag solche oder andere Strategien angewandt oder integriert werden können. Auch der Kontakt zu umliegenden Lebensmittelgeschäften oder Gastronomiebetrieben kann lohnend sein. Zur weiteren Aktivierung der Selbsttätigkeit der Schüler:innen könnte auch die Planung weiterer fachübergreifender Ideen vorangetrieben werden.
Hinweise
Für den Stundeneinstieg werden Lebensmittel mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum, beschädigter Verpackung oder Flecken benötigt, anhand derer die Schüler:innen eine Zuordnung „in die Tonne“ oder „in den Kochtopf“ vornehmen sollen. Die Vorbereitung ist von der Lehrperson mit ausreichend zeitlichem Vorlauf zu bedenken.
Der Besuch eines „Foodsavers“ der Initiative Foodsharing oder einer ähnlichen vor Ort aktiven Organisation ist lohnend: In der BNE-Arbeit stellt die Verknüpfung mit außerschulischen Partner:innen eine wesentliche Säule dar, denn externe Personen können viel authentischer über ihre eigene Motivation und Erfahrungen sprechen. Zudem haben Sie „von außen“ einen komplett anderen Blick auf die Thematik, sodass eine umfassende Behandlung ohne einen solchen Kontakt eigentlich nicht möglich ist.
Diese Unterrichtsidee enthält folgendes Methodenmuster: Positionsspiel.
BNE-Kompetenzen
Globale Zusammenhänge erkennen und neue Perspektiven ausbauen: Die Schüler:innen lernen Beweggründe und Folgen von lokaler und globaler Lebensmittelverschwendung sowie gesellschaftliche Initiativen und individuelle Maßnahmen zur Reduzierung kennen.
Fächerübergreifend Erkenntnisse gewinnen: Die Schüler:innen beschreiben und beurteilen Unterschiede in der Herstellung von und im Umgang mit diversen Lebensmitteln (Produktion, Einzelhandel und Endverbraucher:in).
Risiken, Gefahren und Unsicherheiten erkennen und abwägen: Die Schüler:innen analysieren und reflektieren die Folgen von Lebensmittelverschwendung.
An Entscheidungsprozessen teilhaben: Die Schüler:innen analysieren und erkennen den Einfluss individueller Konsumentscheidungen auf den Lebensmittelmarkt.
Sich und andere motivieren können, aktiv zu werden: Die Schüler:innen lernen „Foodsaver“-Kampagnen kennen und erproben aktive Umsetzungsmöglichkeiten für den Alltag.
Die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren: Die Schüler:innen reflektieren verschiedene Lebensweisen zur Förderung und Sicherung eines nachhaltigen Lebensmittelkonsums.
Gerechtigkeitsvorstellungen als Entscheidungs- und Handlungsgrundlagen nutzen: Die Schüler:innen lernen die Auswirkungen von Lebensmittelverschwendung auf den Lebensmittelpreis und daraus resultierende Folgen für Menschen im Globalen Süden kennen.
Quellenverzeichnis
BMEL – Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2019a): 10 Goldene Regeln gegen Lebensmittelverschwendung. Abrufbar unter: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/
zgfdT-10regeln-lebensmittelabfaelle-vermeiden.pdf?__blob=publicationFile&v=5 (Stand: 18.09.2023).
BMEL – Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2019b): Zu gut für die Tonne. Schulmaterial – davon insbesondere: Lehrermaterial für die Klassen 7 bis 9. Abrufbar unter: https://www.zugutfuerdietonne.de/service/publikationen/
schulmaterial/ (Stand: 18.09.2023).
Cartsburg, Matti; Noleppa, Steffen (2015): Das große Wegschmeißen. Vom Acker bis zum Verbraucher: Ausmaß und Umwelteffekte der Lebensmittelverschwendung in Deutschland. In: Publikationen des WWF, WWF Deutschland (Hrsg.). Abrufbar unter: https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF_Studie_
Das_grosse_Wegschmeissen.pdf (Stand: 18.09.2023).
EAT-Lancet Commission (2019): Summary Report. Abrufbar unter: https://eatforum.org/eat-lancet-commission/eat-lancet-commission-summary-report/ (Stand: 18.09.2023).
Foodsharing e.V. (2020). Abrufbar unter https://foodsharing.de/ (Stand: 18.09.2023).
Klaubert, David (06.09.2011): Wegwerfgesellschaft. Die große Verschwendung. In: Frankfurter Allgemeine. Abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/umwelt/
wegwerfgesellschaft-die-grosse-verschwendung-11130879.html (Stand: 18.09.2023)
Thurn, Valentin (2011): Taste the Waste – Trailer. Abrufbar unter: http://tastethewaste.com/info/film (Stand: 16.02.2021)
Too good to go (2020). Abrufbar unter: https://toogoodtogo.de/de (Stand: 18.09.2023).