Hintergrundinformationen

Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) werden in Deutschland pro Jahr zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel „entlang der Lebensmittelversorgungskette als Abfall entsorgt“ (BMEL 2020, o. S.). Um dem entgegenzuwirken, gibt es inzwischen Programme wie die „Nationale Strategie gegen Lebensmittelverschwendung“ und die Informationsinitiative „Zu gut für die Tonne!“, die dazu dienen sollen, das Bewusstsein für die Problematik in der Bevölkerung zu schärfen.

Umso erstaunlicher wirkt das Gerichtsurteil in einem Fall aus dem Jahr 2018, als zwei Studentinnen aus einem Münchner Vorort von der Polizei beim sog. „Containern“ erwischt worden waren. „Containern“ beschreibt die Tätigkeit, „weggeworfene, noch genießbare Lebensmittel zum Eigenverbrauch aus dem Abfallcontainer (eines Supermarktes) [zu] holen“ (Duden 2020, o. S.). Menschen, die containern, drücken damit oft ihre Kritik und ihr Unverständnis gegenüber einer Wegwerf-Praxis aus, die nur aus betriebswirtschaftlicher Perspektive für Supermarktketten plausibel erscheint, gesamtgesellschaftlich betrachtet jedoch nicht nachhaltig ist. Für die zwei Studentinnen ist der Fall deswegen problematisch, weil der Akt des Containerns zumeist auf privatem Firmengelände stattfindet und damit als Diebstahl und Hausfriedensbruch ausgelegt werden kann. Das konkrete Verfahren erregte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit (vgl. z.B. Sontheimer 2018) und gelangte schließlich sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht. Dessen Urteil im August 2020 bestätigte: „Containern ist und bleibt Diebstahl“ (vgl. Bundesverfassungsgericht 2020) – und gilt damit in Deutschland weiterhin als Straftat. Dennoch gibt es viele politisch engagierte, vor allem junge Menschen, die „containern“, um die Lebensmittel vor der Tonne zu retten (vgl. Freymark 2018 (a)). Gruppen wie Extinction Rebellion gehen bei Großveranstaltungen bewusst auf das Containern ein und servieren als Buffet „nur vegetarische Lebensmittel, allesamt aus dem Container“ (Fahrion 2019) – nicht zuletzt auch aus Klimaschutzgründen, weil die Produktion jedes weggeworfenen Lebensmittels zuvor Klimagase freigesetzt hat. Die Aktivist:innen bringen zudem an, dass Containern für sozial benachteiligte Menschen eine Möglichkeit sei, bei der Lebensmittelbeschaffung Geld zu sparen.

Die Lebensmittelverschwendung insgesamt möglichst gering zu halten, ist im Grunde schon aus rein ökonomischen Gründen im Sinne aller Beteiligten: Manche Supermärkte ermöglichen teilweise bereits die kostenlose Mitnahme von abgelaufenen oder nahe am Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums befindlichen Produkten und profitieren dadurch selbst von Vorteilen wie bspw. geringeren Entsorgungskosten (vgl. Freymark 2018 (b)). Daneben sprechen viele ökologische und soziale Aspekte gegen Lebensmittelverschwendung – so lautet eine zentrale Forderung der EAT-Lancet-Commission, diese drastisch zu minimieren – im „Food in the Anthropocene“-Report von 2019 wird als eine von fünf Strategien für eine „Transformation der Ernährung“ deren Reduzierung um die Hälfte gefordert. Dennoch bestehen in Deutschland aufgrund der gesetzlichen Beschränkungen weiterhin nur geringe Handlungsmöglichkeiten, ganz im Gegensatz zu Frankreich, wo am 11. Februar 2016 ein Gesetz erlassen wurde, demzufolge es zumindest den großen Supermärkten mit einer Ladenfläche mit mehr als 400 m² verboten ist, Lebensmittel wegzuwerfen oder unbrauchbar zu machen. Vielmehr sind die Läden nun explizit dazu verpflichtet, die Lebensmittel an wohltätige Organisationen zu spenden oder anderweitig sinnvoll zu verwerten (vgl. Thiele 2019). Frankreich ist damit „das erste Land weltweit, das die Lebensmittelverschwendung offiziell unter Strafe gestellt hat“ (ebd.) und kann diesbezüglich als Vorbild dienen. Trotz hoher Strafen gibt es aber auch dort Verstöße gegen das Gesetz: Immer wieder führen Supermärkte illegale Entsorgungen bzw. Unbrauchbarmachungen von Lebensmitteln durch, sodass diese nicht weiterverwendet werden können (vgl. Thiele 2019). Containern bleibt also weiterhin ein Thema von äußerst hoher Brisanz.

Ablauf

Benötigtes Material

Digital verfügbar:

  • Kommentierte Liste mit Links zu Informationstexten für die Gruppenarbeit
  • Rollenkarten mit Hintergrundinformationen für die thesengeleitete Rollendiskussion in Form einer fiktiven Gerichtsverhandlung
  • Arbeitsblatt Anklageschrift
  • Beobachtungsbogen für die thesengeleitete Rollendiskussion
  • Reflexionsbogen

Noch zu ergänzen:

  • Aktuelle Bilder von der Praxis des Containers
  1.  Die Lehrperson zeigt den Schüler:innen ein Bild, auf dem Menschen zu sehen sind, die containern. Aus der Leitfrage „Was seht ihr auf diesem Bild?“ ergibt sich ein Gespräch, das Vorwissen abfragt und bereits erste Positionierungen absteckt. Es gilt jedoch zu beachten, in dieser Phase vor allem auf einer beschreibenden bzw. erläuternden sachlichen Ebene zu bleiben und nicht schon zu früh ins Bewerten zu kommen.
  2. Im nächsten Schritt beschäftigen sich die Schüler:innen mit dem Phänomen des Containerns. Ausgehend vom Fall der zwei Studentinnen, die beim Containern ertappt und wegen besonders schweren Diebstahls angeklagt wurden (vgl. Zeitungsartikel, Sontheimer 2018), wird das Spannungsfeld der Thematik entfaltet. Dabei lernen sie die gesellschaftlichen Hintergründe des Containerns und die Beweggründe der Lebensmittelverschwendung kennen. Es wird damit das Spannungsverhältnis deutlich gemacht, in dem sich das Thema der Unterrichtseinheit bewegt.
  3. In der folgenden Gruppenarbeitsphase arbeiten sie Pro- und Contra-Argumente aus verschiedenen zugeteilten Quellen wie bspw. einem Zeitungsartikel, einem Auszug aus dem Strafgesetzbuch, dem Gerichtsurteil des BGH o.Ä. heraus (vgl. kommentierte Materialliste).
  4. Die Anwendungsphase erfolgt als thesengeleitetes Rollenspiel, konkret als Nachstellung einer Gerichtsverhandlung zum Thema. In Kleingruppen erarbeiten die Schüler:innen anhand von Rollenkarten die ihnen zugeteilte Position; mindestens zu besetzen sind Richter:in, Verteidiger:in, Staatsanwält:in, Angeklagte:r und ggf. weitere Zeug:innen. Die Präsentation erfolgt in der Raummitte, wo ein Gerichtssaal in Grundzügen nachgebaut wird, und zwar mit „heißem Stuhl“ (in abgewandelter Form): Eine Gruppe beginnt mit der Präsentation in der Klasse; wenn ein Argument der eigenen Rolle vorgetragen wurde, steht die Person jeweils auf und verlässt den Stuhl. Dieser wird durch ein anderes Mitglied der Gruppe, aber in derselben Rolle nachbesetzt. So wird sichergestellt, dass alle Schüler:innen aktiv an der Präsentation beteiligt sind. Auch wenn sie sich gerade nicht „auf der Bühne“ befinden, werden die umstehenden Schüler:innen involviert. Und zwar bekommen alle Schüler:innen ein Arbeitsblatt mit rollenbezogenen Beobachtungsaufgaben, die auf eine Evaluation der Präsentations- und Argumentationskompetenz abzielen, immer auf die eigene Rolle bezogen: die umstehenden Richter:innen beobachten also den/die präsentierende/n Richter:in usw.
  5. Im Anschluss ist Raum für gegenseitiges Feedback und eine gemeinsame Reflexion anhand von Leitfragen wie z.B. „Wie bewertet ihr Containern?“ oder „Welche Argumentationen findet ihr in diesem Zusammenhang am überzeugendsten?“ Die benannten Argumente werden im Plenum gesichert und gegebenenfalls noch durch die Lehrperson ergänzt. Vorbereitet werden kann die Reflexionsphase mit Hilfe des Reflexionsbogens.
  6. Es bietet sich abschließend an, von der rein kognitiven in eine aktive Auseinandersetzung mit der Thematik zu gelangen. Um ihren eigenen Umgang mit Lebensmitteln zu reflektieren, erstellen die Schüler:innen in einer Anschlussstunde beispielsweise ein Mülltagebuch, in dem sie notieren, wann sie im Laufe einer Woche welche Lebensmittel entsorgt haben und warum. Im Gespräch darüber können Strategien ausgetauscht werden, inwiefern im privaten Verbrauch ggf. weniger weggeworfen werden könnte.

Hinweise

Eine weitere passende Unterrichtseinheit zu dieser Thematik:
Zwischen Wertschätzung und Verschwendung“.

BNE-Kompetenzen

In dieser Unterrichtseinheit werden folgende BNE-Kompetenzen von Lernenden besonders gefördert.

Globale Zusammenhänge erkennen und neue Perspektiven ausbauen: Die Schüler:innen erkennen in der Reduktion von Lebensmittelverschwendung eine konkrete Handlungsmöglichkeit für die Entwicklung eines nachhaltigeren Lebensstils und zugleich den Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers sowie die ökonomische Logik der Lebensmittelindustrie.

Fächerübergreifend Erkenntnisse gewinnen: Die Schüler:innen erarbeiten sich Informationen zur Rechtslage des Containerns sowie zu den institutionellen Strukturen der Justiz in Deutschland und wenden diese Kenntnisse in einer thesengeleiteten Rollendiskussion an.

Gemeinsam mit anderen planen und handeln: Die Schüler:innen diskutieren in Kleingruppen Pro- und Contra-Argumente zur Praxis des Containerns und vollziehen entsprechende Argumentationslinien nach.

An Entscheidungsprozessen teilhaben: Die Schüler:innen lernen den Bereich der Justiz als ein wesentliches Element demokratisch verfasster Gesellschaften kennen und vollziehen im Rahmen der nachgestellten Gerichtsverhandlung die Urteilsfindung nach.

Zielkonflikte bei der Reflexion über Handlungsstrategien berücksichtigen: Die Schüler:innen lernen durch das Rollenspiel, neue Perspektiven bei der Betrachtung kontroverser Fragestellungen einzunehmen und damit auch einen angemessenen Umgang mit anders gelagerten Interessen und Verhaltensweisen als der eigenen.

Die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren: Die Schüler:innen durchdenken Beweggründe der Lebensmittelverschwendung und des Containerns und erkennen ihre eigene Rolle sowie ihren eigenen Handlungsspielraum in diesem Zusammenhang.

Vorstellungen von Gerechtigkeit als Entscheidungs-/ Handlungsgrundlagen nutzen: Die Schüler:innen nehmen wirtschaftliche, rechtliche und moralische Erwägungen vor und beziehen entsprechende Vorstellungen von Gerechtigkeit in die Urteilsfindung mit ein.

Mehr Informationen zum Zusammenhang von BNE-Kompetenzen von Lernenden und Lehrenden

Quellenverzeichnis

BMEL (2020): Lebensmittelverschwendung. Abrufbar unter: https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittelverschwendung/lebensmittelverschwendung_node.html (Stand: 18.09.2023).

Bundesverfassungsgericht (2020): Erfolglose Verfassungsbeschwerde bei einer strafgerichtlichen Verurteilung wegen „Containerns“. Abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/bvg20-075.html (Stand: 13.10.2023).

Duden online (2020): Abrufbar unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/containern (Stand: 18.09.2023).

EAT-Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems (2019): Food in the Anthropocene. Abrufbar unter: https://eatforum.org/eat-lancet-commission/eat-lancet-commission-summary-report/ (Stand: 18.09.2023)

Fahrion, Georg (2019): Neue Umweltbewegung Extinction Rebellion. Greta Thunbergs radikale Geschwister. In: Spiegel.de. Abrufbar unter: https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/extinction-rebellion-was-die-neuen-klima-aktivisten-planen-a-1282370.html (Stand: 18.09.2023).

Freymark, Linus (2018) (a): Containern in München. “Bevor das Essen im Müll landet, esse ich es lieber”. In: SZ.de. Abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/containern-muenchen-jura-studium-muell-1.4206123-0#seite-2 (Stand: 06.02.2021).

Freymark, Linus (2018) (b): Essen im Müll. So reagieren Supermärkte auf Lebensmittelverschwendung. In: SZ.de. Abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/essen-im-muell-so-reagieren-supermaerkte-auf-lebensmittelverschwendung-1.4206127 (Stand: 06.02.2021).

Thiele, Marlene (2019): Lebensmittelverschwendung: Wie Frankreich gegen den achtlosen Umgang mit Essen kämpft. In: SZ.de. Abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/lebensmittel-verschwendung-containern-1.4331886 (Stand: 18.09.2023).

Sontheimer, Leonie (2018): Vor Gericht wegen Essen aus dem Müll. Zwei Studentinnen werden beim Containern erwischt. Nun läuft gegen sie ein Verfahren wegen „besonders schweren Diebstahls“. In: jetzt.de. Abrufbar unter: https://www.jetzt.de/ernaehrung/erwischt-beim-containern-gerichtsverfahren-gegen-studentinnen (Stand: 18.09.2023).