Hintergrundinformationen

In Deutschland werden jährlich über 18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel weggeworfen, von denen ca. 10 Millionen Tonnen vermeidbar wären (vgl. BMEL 2019a). Davon sind „über 60 % auf die Wertschöpfungskette vom Produzenten bis hin zum Großverbraucher zurückzuführen [und] fast 40 % liegen beim Endverbraucher“ (Cartsburg/Noleppa 2015, S. 9). Die Ursachen für diesen Verlust in Supermärkten liegen dabei nicht so sehr im Bereich von „technologische[n] Restriktionen, sondern vielmehr [in] Marketingmaßnahmen und Konsumentenerwartungen an Frische und Verfügbarkeit, an Optik und Textur der Lebensmittel“ (ebd., S. 11) begründet, die Konsumverluste bei den Verbraucher:innen setzen sich unter anderem aus falscher Lagerung oder mangelhafter Einkaufsplanung zusammen (vgl. ebd., S. 37). Lebensmittelverschwendung hat erhebliche ökologische Folgen; aus diesen Gründen lautet eine zentrale Forderung der EAT-Lancet-Commission, Lebensmittelverlust und -verschwendung drastisch zu minimieren – im „Food in the Anthropocene“-Report von 2019 wird als eine von fünf Strategien für eine „Transformation der Ernährung“ deren Reduzierung um die Hälfte gefordert (EAT-Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems 2019).

Es ist wichtig, den Schüler:innen die eigene Rolle in diesem Zusammenhang nahezubringen und dabei zugleich auch die systemischen Bedingungen in den Blick zu nehmen, im Rahmen derer sich die individuellen Entscheidungen stets bewegen: Die Handlungsmacht der Verbraucher:innen besteht darin, der Verschwendung von Lebensmitteln bestmöglich vorzubeugen. Hierfür gibt es leicht umsetzbare Regeln und Tipps (vgl. z.B. Casali, 2014, S. 20–51; Verbraucherzentrale NRW 2020, o.S.). Zugleich gilt es, auch die politischen Rahmenbedingungen für die vorherrschende Wegwerfpraxis zu analysieren, zu kritisieren und Ideen für Veränderungen in Politik und Wirtschaft zu entwickeln (vgl. BMEBL 2019b; Verbraucherzentrale NRW 2019). Für den Einzel- oder Großhandel etwa gibt es in Deutschland bislang noch kein Gesetz oder verbindliche Abfallquoten, die das Maß der entsorgten Waren regulieren oder ganz verbieten würden. Das Spenden an Tafeln geschieht nur vereinzelt und auch dann nur auf freiwilliger Basis; der Rest der aussortierten Lebensmittel wird einfach weggeworfen. Bei den Prozessschritten, die dem Handel vorausgehen, wird jedoch versucht, die Rohstoffbeschaffung, die Produktion, die Belieferung und die Verpackung möglichst sparsam und ökonomisch zu halten, was zu einer Verminderung des materiellen wie finanziellen Verlustes führen soll (vgl. BMEL 2019b).

Im Gegensatz dazu gibt es in Frankreich seit dem 21. Mai 2015 ein Gesetz, das es zumindest den großen Supermärkten verbietet, Lebensmittel wegzuwerfen oder durch Zugabe von Chemikalien unbrauchbar zu machen (Französisches Staatsministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Wald 2015). Supermärkte werden explizit dazu verpflichtet, die unverkäuflichen Lebensmittel an wohltätige Organisationen zu spenden oder anderweitig sinnvoll zu verwerten. In der Unterrichtseinheit soll den Schüler:innen diese politische Maßnahme kontrastiv vermittelt werden, um die Bedeutung der politischen Dimension von Nachhaltigkeit aufzuzeigen – denn in Deutschland existiert ein solches Gesetz bislang nicht. Mit Blick auf die eigene Rolle im Rahmen dieser Problematik sollen die Schüler:innen zudem auch zu eigenverantwortlichem Verhalten angeregt werden.

Ablauf

Benötigtes Material

Digital verfügbar:

  • Vorlage Reporterbogen auf Deutsch
  • Vorlage Reporterbogen auf Französisch
  • Informationstext zum Gesetz in Frankreich mit Fragestellungen
  • Kurzfilm von Karen Dierks über Lebensmittelverschwendung: https://www.youtube.com/watch?v=mkfXweAAkVc (Stand: 22.07.2022)

Noch von der Lehrkraft zu ergänzen:

  • Etwas überreifes, deformiertes Obst oder Gemüse bzw. Lebensmittel mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum
  1. Zu Beginn der Unterrichtseinheit findet ein selbstreflexiver Einstieg mittels der Methode „Reporterbogen“ statt. Hierfür bewegen sich die Schüler:innen frei im Raum und versuchen, für jeden der zwölf Sätze auf dem Bogen eine Person zu finden, auf die dieser Satz zutrifft. Dadurch bekommen die Schüler:innen einen ersten Zugang zum Thema, unabhängig von den Informationen durch die Lehrperson.
  2. Anschließend erfolgt eine gemeinsame Reflexions- und Vertiefungsphase im Sitzkreis: Anhand von mitgebrachten, etwas überreifen, deformierten oder abgelaufenen Lebensmitteln werden Gründe für deren Entsorgung (z.B. eine nicht der Norm entsprechende Form oder ein überschrittenes Mindesthaltbarkeitsdatum) thematisiert und damit nicht-nachhaltige Denkmuster offengelegt. Der Sitzkreis begünstigt einen freien Diskurs, spontane Meinungsäußerung, das „Sich-Sehen“ beim Erkunden der mitgebrachten Lebensmittel sowie die Integration der Lehrperson in das Gespräch. Dadurch kann auf Augenhöhe miteinander kommuniziert werden.
  3. In der folgenden Erarbeitungsphase wird speziell auf das 2015 eingeführte Wegwerfverbot für Nahrungsmittel in französischen Supermärkten eingegangen. Der dafür verwendete Text mit Fragen, der wahlweise in Einzel- oder Partnerarbeit zu bearbeiten ist, zielt zunächst auf das Textverständnis ab. Die daraufhin stattfindende Besprechung im Plenum dient der gemeinsamen Klärung von Verständnisfragen.
  4. Im Vorfeld eines Kurzfilms von Karen Dierks über Lebensmittelverschwendung (siehe https://www.youtube.com/watch?v=mkfXweAAkVc) sollen die Schüler:innen eigene Ideen für einen nachhaltigeren Umgang mit Lebensmitteln nennen, die in Form einer Mind-Map an der Tafel fixiert werden. Einerseits wird so ihr Vorwissen aktiviert, andererseits können die Schüler:innen dabei selbst kreativ werden. Der Kurzfilm erweitert die bisherigen Inhalte der Unterrichtseinheit und spannt die gesellschaftliche Tragweite der Problematik auf. Beim Ansehen filtern die Schüler:innen die zentralen Inhalte heraus und verknüpfen diese mit dem erlernten Wissen aus dem vorherigen Teil der Unterrichtseinheit.
  5. In der Abschlussreflexion wird die Mind-Map noch durch die Anregungen aus dem Videobeitrag ergänzt. In dieser Phase, wie auch übergeordnet in der gesamten Unterrichtseinheit, sollte die gezielte Zusammenführung von persönlicher Erfahrung mit der Verantwortung kritischem Denken gegenüber der gegenwärtigen gesellschaftlichen Praxis des Wegwerfens erfolgen. Hinzu kommt die Bedeutung von Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen.

Hinweise

Nachdem der Wortschatz gerade in diesem Themenbereich recht anspruchsvoll ist, wurde der hier dargestellte Unterrichtsentwurf bei seiner Erprobung in einer siebten Klasse (zweites Lernjahr Französisch) komplett auf Deutsch durchgeführt und nur die Thematik mithilfe eines französischen Beispiels verdeutlicht. Im Nachgang weisen die Verfasserinnen darauf hin, dass es dennoch möglich gewesen wäre, den Erwerb fremdsprachlicher Kompetenzen verstärkt in den Vordergrund zu rücken. Beispielsweise könnte man bestimmte Wörter oder Sätze im Reporterbogen auf Französisch verfassen, um kontextuelles Verständnis und das Erlernen neuen Vokabulars zu fördern. Darum ist der Reporterbogen in deutscher und französischer Version vorhanden.

BNE-Kompetenzen

In dieser Unterrichtseinheit werden folgende BNE-Kompetenzen von Lernenden besonders gefördert.

Globale Zusammenhänge erkennen und neue Perspektiven ausbauen: Die Schüler:innen benennen und vergleichen Ansätze zur nachhaltigen Entwicklung von politischen Entscheidungsträger:innen in Frankreich und Deutschland.

Risiken, Gefahren und Unsicherheiten erkennen und abwägen: Die Schüler:innen können die negativen Folgen nicht-nachhaltigen Handelns (hier: Verschwendung durch organisiertes Wegwerfen) im Umgang mit Lebensmitteln erkennen und beurteilen.

Sich und andere motivieren können, aktiv zu werden: Die Schüler:innen wenden Verfahren der Selbstmotivation an, um den eigenen Umgang mit Lebensmitteln nachhaltiger zu gestalten.

Zielkonflikte bei der Reflexion über Handlungsstrategien berücksichtigen: Die Schüler:innen können in lebensweltlichen Handlungszusammenhängen Entscheidungsdilemmata etwa in Bezug auf die Qualität eines Lebensmittels oder in der Gesetzgebung identifizieren und beschreiben.

Die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren: Die Schüler:innen ermitteln und beurteilen die Hintergründe, Formen und Auswirkungen des eigenen Lebensstils und des Lebensstils anderer im gemeinsamen Gespräch.

Empathie für andere zeigen können: Die Schüler:innen beschreiben und reflektieren Formen der individuellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verantwortungsübernahme für (nicht-)nachhaltige Entscheidungsprozesse.

Mehr Informationen zum Zusammenhang von BNE-Kompetenzen von Lernenden und Lehrenden

Quellenverzeichnis

BMEL – Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2019a): 10 Goldene Regeln gegen Lebensmittelverschwendung. Abrufbar unter: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/
zgfdT-10regeln-lebensmittelabfaelle-vermeiden.pdf?__blob=
publicationFile&v=5
(Stand 18.09.2023).

BMEL – Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2019b): Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung. Abrufbar unter: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ernaehrung/
Lebensmittelverschwendung/Nationale_Strategie_
Lebensmittelverschwendung_2019.pdf?__blob=publicationFile&v=3
(Stand: 18.09.2023).

Cartsburg, Matti; Noleppa, Steffen (2015): Das große Wegschmeißen. Vom Acker bis zum Verbraucher: Ausmaß und Umwelteffekte der Lebensmittelverschwendung in Deutschland. In: Publikationen des WWF, WWF Deutschland (Hrsg.). Abrufbar unter: https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF_Studie_Das_grosse_Wegschmeissen.pdf (Stand: 04.02.2021).

Casali, Lisa (2014): Grün kochen? (Öko-)Logisch. Nichts mehr verschwenden, weniger ausgeben. München: Wilhelm Goldmann Verlag.

Dierks, Karen (2013): Lebensmittelverschwendung. Abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=mkfXweAAkVc (Stand: 18.09.2023).

EAT-Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems (2019): Food in the Anthropocene. Abrufbar unter: https://eatforum.org/eat-lancet-commission/eat-lancet-commission-summary-report/ (Stand: 18.09.2023)

Französisches Staatsministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Wald (Ministère de l’agriculture, de l’agrolimentaire et de la forêt) (2015): L’Assemblée nationale légifère contre le gaspillage alimentaire. Abrufbar unter: http://agriculture.gouv.fr/lassemblee-nationale-legifere-contre-le-gaspillage-alimentaire (Stand: 18.09.2023).

Verbraucherzentrale NRW e.V. (2019): Was Politik und Wirtschaft gegen Lebensmittelabfälle tun können. Abrufbar unter: https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/
gesund-ernaehren/was-politik-und-wirtschaft-gegen-lebensmittelabfaelle-tun-koennen-11216
(Stand: 18.09.2023)

Verbraucherzentrale NRW e.V. (2020): Lebensmittel: Zwischen Wertschätzung und Verschwendung. Abrufbar unter: https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/
auswaehlen-zubereiten-aufbewahren/lebensmittel-zwischen-wertschaetzung-und-verschwendung-6462
(Stand: 18.09.2023)