Hintergrundinformationen

Die Recherche zu Synonymen für den Begriff Wohlstand führt ein gesellschaftliches und politisches Denkmuster vor Augen. Die Gleichsetzung mit Wörtern wie Geld, Vermögen und Reichtum stellt für die meisten Menschen keine Überraschung dar und hebt die materielle bzw. monetäre Sichtweise auf die Thematik hervor. Dass dies nicht so sein muss und auf bestimmte Mechanismen im globalen Wirtschaftssystem zurückzuführen ist, gilt es auch im Bildungsbereich zu thematisieren. Konkret geht es um die Frage, was genau Wohlstand für eine Nation und einzelne Individuen bedeutet.

„Wohlstand stellt im ökonomischen Sinn den Grad der Versorgung von Personen, privaten Haushalten oder der gesamten Gesellschaft mit Gütern und Dienstleistungen dar“ (bpb 2016, o. S.). Letzteres wird durch das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf berechnet und deshalb als Wohlstandsindikator einer Nation angesehen (vgl. Gill, 2019).

Bereits vor, jedoch primär im 21. Jahrhundert ist der Begriff des Wohlstands einer Nation zwingend mit dem des Wirtschaftswachstums verbunden. Wirtschaftswachstum wird dabei zunächst als Zunahme der Wirtschaftsleistung einer Region (meist eines Landes) definiert. Dieses wird – ebenso wie der Wohlstandsindikator – mit dem BIP berechnet. Ein solches Wachstum hängt von mehreren Faktoren ab. Detaillierter betrachtet wird zwischen physischem Kapital (Maschinen, Gebäude, Infrastruktur), Humankapital (Bildung und Gesundheit) und natürlichen Ressourcen (Bodenschätze und Ackerland) unterschieden. Wachstum entsteht dabei entweder durch eine Erhöhung eines Kapitaleinsatzes und/oder einer effizienteren Nutzung des Kapitals und/oder der Ressourcen (vgl. Jedinger, 2017).

Aufbauend auf derselben Berechnung liegt die Schlussfolgerung nahe, dass mit dem Verfolgen des dauerhaften Wirtschaftswachstums eine dauerhafte Erhöhung des Wohlstandes einer Nation einhergeht. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob ein solcher Zusammenhang erstrebenswert und realistisch ist. Aus ökonomischer Sicht kann dies zunächst bejaht werden. Diese Sichtweise stößt jedoch bei genauerem Hinsehen an ihre Grenzen und wirft Fragen auf, etwa ob es hinsichtlich einer langfristigen Wachstumsmaximierung sinnvoll sein kann, die oben genannten Faktoren auf ihr Äußerstes auszuschöpfen und welche Auswirkungen ein solches Vorgehen auf den Wohlstand einer Nation sowie ihre Gesundheit und ihre ökologischen Grundlagenhätte. Außerdem bleiben bei einer solch einseitigen Sichtweise des Wohlstandsbegriff zahlreiche weitere Aspekte unberücksichtigt. Ein Zuwachs des BIPs pro Nation entspricht nicht einer zwangsläufigen Gleichverteilung auf deren Bevölkerung. Auch weniger wünschenswerte Bereiche wie Drogenhandel werden ins BIP mit eingerechnet (vgl. Hulverscheidt, C. & Öchsner, T., 2014). Ebenso wird dabei unberücksichtigt gelassen, dass ein lokaler Wohlstandsanstieg aufgrund der Existenz bestimmter Rohstoffe (z. B. seltene Erden) und meist kostengünstigeren Arbeitskräften nicht selten auf Kosten des Globalen Südens erreicht wird. Im schulischen Kontext gilt es daher zu reflektieren, ob es demnach nicht vielmehr das Ziel einer solchen Berechnung sein sollte, das Wohl der ganzen Weltbevölkerung miteinzubeziehen, und ob ferner nicht genauso immaterielle Güter wie Freizeit, Umweltqualität, Lebenserwartung etc. in eine nationale bzw. internationale Wohlstandsberechnung mit einfließen sollten (vgl. Gill, 2019).

Diese Unterrichtseinheit ermöglicht eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wohlstandsbegriff, dem Zusammenhang mit dem Wirtschaftswachstum, den Voraussetzungen der einzelnen Akteur:innen am Weltmarkt und der dadurch gegebenen (Un-)Gerechtigkeit.

Ablauf

Benötigtes Material

Digital verfügbares Material: (Download-Bereich)

  • Rollenbeschreibungen
  • Produktionsvorgaben
  • Bingo
  • Übersicht alternativer Wohlstandsindikatoren
  • Währung

Material, das zusätzlich benötigt wird:

Verschiedenfarbige Mappen mit je unterschiedlichem Material für die einzelnen Gruppen (allg. Papier, Stifte, Lineal, Zirkel, Schere, optional: unnütze Gegenstände wie Wäscheklammer o. Ä.), bspw. ist in den Mappen Folgendes vorzufinden:

  • Grüne Mappe: 120 Stk. Papier, 1x Lineal, 1x Stift (dicker Edding), Stofffaden
  • Blaue Mappe: 40 Stk. Papier, 2x Lineal, Stifte (2x Bleistifte), 1x Schere, 1x Zirkel, Wäscheklammern
  • Gelbe Mappe: 20 Stk. Papier, 3x Lineal, 2x Zirkel, 3x Schere, Stifte (3x Kugelschreiber, 4x Bleistifte)
  1. Im ersten Schritt wird (etwa im Rahmen der Wiederholung der Inhalte der Vorstunde) mithilfe eines Bingos (vgl. hierzu Material + Anleitung) dafür gesorgt, dass alle notwendigen Begriffe und Prinzipien bekannt sind. Jedoch wird bewusst nicht der Begriff des Wohlstandes aufgegriffen, da die individuelle Auslegung dieses Begriffs ein Teilziel dieses Planspiels darstellt. Folgende Begriffe werden dabei verwendet: Angebot-Nachfrage-Prinzip, gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht, Marktregulierung, Freier Markt, Bruttoinlandsprodukt, Wirtschaftswachstum, Einkommensverteilung, Globalisierung, magisches Viereck. Die Liste kann von der Lehrperson ergänzt werden.
  2. Für das Welthandelsspiel werden die Lernenden in Gruppen mit je 4–6 Personen eingeteilt. Es ist darauf zu achten, dass die Gruppengröße diese Anzahl nicht überschreitet, um intensiven Austausch und Produktionsabläufe innerhalb der Gruppe gewährleisten zu können. Befinden sich die Lernenden in ihrer jeweiligen Gruppe, vergeben sie innerhalb dieser folgende (bzw. auch weiter ergänzbare) feste Rollen: Händler:in, Diplomat:in und Arbeiter:innen.
  3. Jede Gruppe erhält eine Mappe mit Arbeitsmaterialien. Ohne dass dies den Lernenden mitgeteilt wird, ist jede Mappe mit einer unterschiedlichen (!) Anzahl an Werkzeugen und Ressourcen ausgestattet (vgl. Material). Die ungleiche Verteilung steht in Analogie zu den unterschiedlichen Voraussetzungen der Staaten (z. B. des Globalen Südens mit vielen Ressourcen und wenig Werkzeug und des Globalen Nordens mit vielen Werkzeugen und wenig Ressourcen). Als Werkzeuge und Ressourcen dienen u.a. Papier, Bleistifte, Lineale, Klammern, Scheren, Zirkel etc. (vgl. Vorbereitung/Material).
  4. Anschließend erläutert die Lehrperson Vorgehen und Ziel des Planspiels. Aufgabe der Lernenden ist es, geometrische Figuren aus Papier nach der Produktionsvorgabe (genaue Maßangaben mit Preisen in der jeweiligen Währung) zu erstellen und diese mit dem Ziel, maximalen Wohlstand zu generieren, am Weltmarkt zu verkaufen.
  5. Der Weltmarkt wird von zwei Personen (zwei Lehrpersonen/Lehrperson + Praktikant:in oder freiwillige:r Schüler:in) vertreten. Ihre Aufgabe ist es, die gefertigte Ware zu beurteilen und je nach Produktionsgenauigkeit gegen einen bestimmten Preis entgegenzunehmen.
  6. Die Lehrperson hängt die jeweiligen Produktionsvorgaben an die Tafel und erläutert, dass sich die Preise nach dem Angebot-Nachfrage-Prinzip orientieren, sie sich also jederzeit ändern können. Ein Signalton (Glocke, Handyklingeln etc.) kündigt dabei jede Veränderung an. Das Spiel beginnt. Dieses kann ca. 45 Minuten dauern. Je nach Dauer wird in gewissen Abständen der Weltmarkt aktiv und passt die Preise der Waren an (sinken/steigen). Ergänzend dazu können Produkte dem Weltmarkt hinzugefügt oder von ihm entfernt werden.
  7. In den letzten Zügen des Planspiels kündigt der Weltmarkt die ablaufende Zeit an. Direkt nach dem Planspiel werden ausgewählte Lernenden innerhalb ihrer Rollen von der Lehrkraft bzgl. ihrer Spielerfahrung interviewt. Im Anschluss daran zählen die Gruppen ihren Gewinn aus. Die Lehrperson stellt das Ergebnis allen Lernenden vor. Es folgt die Frage, wer denn nun den meisten Wohlstand generiert hat. Hierbei liegt es auf der Hand, die Gruppe mit der meisten Währung als Gewinnerin zu küren. Alternativ kann Wohlstand von den Schüler:innen auch anders definiert werden, sodass eine andere Begründung berechtigt – wenn nicht sogar wünschenswert – ist (z. B. „Wir hatten richtig Spaß in der Gruppe. Gewinn war dabei eher nebensächlich. Trotz allem sind wir sehr zufrieden mit unserem Ergebnis.“). Dies liegt zunächst allein in der Hand der Lernenden, es können jedoch entsprechende Impulse von der Lehrperson für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff gesetzt werden.
  8. Die Lernenden legen ihre Rollen nieder und versammeln sich gemeinsam mit der Lehrperson in einem Stuhlkreis. Sie diskutieren darüber, was Wohlstand bedeuten kann und inwiefern der Weltmarkt einen fairen Markt darstellt. Um die Reflektion verschiedener Aspekte und Sichtweisen anzuregen, können Impulsfragen in die Diskussion eingebracht werden. In der Regel ist zu erwarten, dass sich die Gruppen während des Spiels an die gewohnten Denkmuster anschließen und in einen Wettbewerb einsteigen. Die Spielleitung hat kollaboratives Arbeiten jedoch zu keiner Zeit ausgeschlossen (aber auch nicht dazu ermutigt). Dieses Spielverhalten sowie die Gründe und alternative Handlungsmöglichkeiten sollten unbedingt thematisiert werden.

Zum Abschluss stellt die Lehrperson Alternativvorschläge für die Messung von Wohlstand (wie Happy Planet Index, Bruttonationalglück o. Ä., vgl. Material) vor. Auch diese können hinsichtlich ihrer jeweiligen Potenziale und Grenzen analysiert werden.

Hinweise

  • Um in der Anschlusskommunikation eine kritische Analyse einer Definition von Wohlstand ermöglichen zu können, sollte darauf geachtet werden, dass in der gesamten UE der Wohlstands-Begriff nicht von der Lehrkraft definiert wird. Dies ermöglicht den Lernenden eine individuelle und freie Auslegung des Begriffs.
  • Den Lernenden wird bewusst keine Vorgabe dazu gemacht, ob sie das Ziel durch Konkurrenz oder Kooperation der Gruppen erreichen können bzw. wollen. Eine solche offene Handhabung kann im Anschluss eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept des Wettbewerbs ganz allgemein, jedoch hier v.a. hinsichtlich des Weltmarktes bewirken.
  • Optional: Falls keine der Gruppen sich von selbst für einen alternativen Weg (bspw. Kooperation oder Wohlstandsauslegung) entscheidet, kann ein weiterer Durchgang sinnvoll sein. Die Unterschiede über den Spielverlauf und -ausgang im Vergleich zum ersten Durchgang können im Nachgang diskutiert werden.
  • Je nach Auslegung des Unterrichtsschwerpunkts kann die Stunde angepasst werden. Es bietet sich unter anderem an, mithilfe dieser Methode zahlreiche Wirtschaftsbegriffe aufzugreifen und detaillierter zu erläutern (vgl. vorgeschlagene Begriffe beim Bingo – s. Download-Materialien).
  • Über das Nord Süd Forum kann eine entsprechende Methodenbox ausgeliehen werden. In dieser befindensich neben anderen Planspielen alle nötigen Materialien zu diesem Welthandelsspiel (vgl. Nord Süd Forum, 2019).

BNE-Kompetenzen

In dieser Unterrichtseinheit werden folgende BNE-Kompetenzen von Lernenden besonders gefördert.

Globale Zusammenhänge erkennen und neue Perspektiven ausbauen: Die Schüler:innen erproben im Welthandel methodisch das Handeln in globalen Zusammenhängen.

Vorausschauend denken und handeln: Die Schüler:innen übernehmen die Planung und passen ihrer Strategie den Umständen an.

Erkenntnisse durch Handeln erreichen: Die Gruppen befinden sich in verschiedenen Rollen und kommen durch ihr Handeln von unterschiedlichen Ausgangssituationen in einen Konflikt der Gerechtigkeit, der die Basis für eine gewinnbringende Reflexion bildet.

Gemeinsam mit anderen planen und handeln: in den Gruppen muss durch die Offenheit der Angaben geplant und aufgabenteilig gearbeitet werden.

Zielkonflikte bei der Reflexion über Handlungsstrategien berücksichtigen: Die Schüler:innen legen durch ihr Handeln und Reflektieren die Zielsetzung des Spiels selbst fest.

Sich und andere motivieren können, aktiv zu werden: Die Schüler:innen können nur durch Zusammenarbeit wachsen.

Reflexionsfähigkeit schulen und den Blick für die Situation anderer nicht verlieren: Die Gruppen erkennen die unterschiedlichen Ausgangssituationen und Privilegien / Hindernisse der anderen an und handeln ausgehend davon.

Die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren: Durch ihr Handeln und die unterschiedlichen Bedingungen erleben und reproduzieren die Gruppen Ungleichheit und Privilegien – die durch eigenes Agieren ausgeglichen und verringert oder auch verstärkt werden können.

Vorstellungen von Gerechtigkeit als Entscheidungs-/ Handlungsgrundlagen nutzen: Die Schüler:innen müssen im Spiel, spätestens in der anschließenden Reflexion, eigene und fremde Umstände hinterfragen, reflektieren und eigene Entscheidungen einordnen.

Mehr Informationen zum Zusammenhang von BNE-Kompetenzen von Lernenden und Lehrenden

Quellenverzeichnis

bpb – Bundeszentrale für politische Bildung (2016): Wohlstand. Aus: Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 6. Aufl. Lizenzausgabe. Bonn: bpb. Abrufbar unter: https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/21170/wohlstand (Stand 06.12.2023)

Gill, Bernhard (2019). Lebenserwartung als zentraler Wohlstandsindikator für eine ökologisch nachhaltige Entwicklung. Leviathan, 47(1), 28–53. https://doi.org/10.5771/0340-0425-2019-1-28

Hulverscheidt, Claus & Öchsner, Thomas (2014, 25. März): Neue Berechnung des BIP – Kiffen für die Konjunktur. Süddeutsche Zeitung. Abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/neue-berechnung-des-bip-kiffen-fuer-die-konjunktur-1.1921011 (Stand: 06.12.2023)

Jedinger, Sofie (2017). Sozialkapital und Wirtschaftswachstum. Springer VS. https://doi.org/10.1007/978-3-658-14469-2

Nord Süd Forum München e.V. (Hrsg.) (2019): Methodenkiste – Globales Lernen. Nähere Informationen abrufbar unter: https://www.nordsuedforum.de/ausleihmaterial/methodenkiste-globales-lernen (Stand: 06.12.2023)