Einsatzmöglichkeiten

Die Methode eignet sich zum einen als Einstieg in ein Themenfeld; es kann sowohl mit einer ganz neuen Frage gearbeitet werden als auch in bereits bekannten Themenkomplexen gearbeitet werden. Durch das Stickern lassen sich Meinungsfelder abbilden, individuelle Ideen konkretisieren und der Diskurs innerhalb der Gruppe angeregt werden. Die Teilnehmenden werden dazu angeregt, eigene Gedanken zu formulieren, in den Austausch mit anderen zu treten und in aufeinander aufbauenden Stufen zu einer Konkretisierung initialer Ideen und Haltungen zu kommen, die durch strukturierende Visualisierung, Vernetzung und den Abgleich mit der Gruppe gestützt wird.

Das Stickern vereint Aspekte des virtuellen Postens im Internet mit einer analogen Visualisierung und physischen Bearbeitung der im Analogen gebotenen Plattform: Die Nutzung von Klebezetteln erlaubt schnelle und einfache Kommentierung und Erweiterung bereits bestehender Posts, die Methode greift so die konzeptuelle Niedrigschwelligkeit und Anonymität der Internet-Kommunikation auf und verbindet sie mit einer haptischen Übersichtlichkeit durch die Verwendung von konkreten Notizzettel. Über die „Kommentarfunktion“ können direkte Bezüge zwischen den Beiträgen hergestellt und, wie im Digitalen, eine interaktive Vernetzung aufgezeigt werden.

Das Stickern ermöglicht Einzelnen variable Zugänge zu einem Thema oder einer Diskussionsfrage: durch die freie Assoziation werden die Lernenden dazu ermutigt, auch auf persönliche Erfahrungen zurückzugreifen, Unklarheiten als Fragen festzuhalten und sich darüber bewusst zu werden, ob sie bereits Vorwissen oder eine persönliche Einstellung mitbringen. Diese erste Phase des freien Brainstormings fördert den Bezug individueller Perspektiven aller Schülerinnen und Schüler, die durch die gezielte Aktivierung eigenen Vorwissens unterschiedlicher Form zur Teilhabe am Diskurs befähigt und sich eigener Einstellungen bewusst werden.

Frei nach dem Prinzip „Mehr ist mehr“ werden die Teilnehmenden darin bestärkt, jede Idee und jeden Gedanken beizutragen. Je mehr Beiträge gestickert werden, desto besser: Es wird explizit dazu ermutigt, für jeden Post einen eigenen Klebezettel zu verwenden.

Nach der freien Assoziationsphase geht es darum, die eigenen Gedanken mithilfe der Visualisierung auf den Klebezetteln zu strukturieren und in einen Austausch zu kommen. Im Verlauf des Diskurses können Begriffe konkretisiert und verschiedene Ideen gebündelt werden. Jeder Beitrag oder Post ist hier gleich bedeutsam; gerade über eine Vielfalt an Inputs von persönlichen Bezügen bis hin zu Fachwissen wird eine Möglichkeit zur möglichst genauen Abbildung der Komplexität einer Themenfrage geboten.

Die Teilnehmenden werden darin angeleitet, sich einer Frage schrittweise zu nähern; die Klebezettel unterstützen die visuelle und räumliche Abbildung und laden zum Clustern ein. Durch eine farbliche Kennzeichnung lassen sich Kategorien von Aussagen unterscheiden (z.B. steht eine Farbe für persönliche Erfahrungen, eine weitere für offene Fragen, Meinungen, Fachliches, Beispiele, …) und besser zuordnen. Weitere Differenzierung kann durch unterschiedlich geformte Notizzettel eingeführt werden, wenn Kommentare anderer Gruppen beispielsweise auf runden Klebezetteln gepostet werden.

Die visuelle Gliederung erleichtert einen Überblick über die gesammelten Beiträge, stimuliert die Beteiligung und vereinfacht eine Interpretation der Ergebnisse. Besonders die Interaktivität der Gruppen wird durch den visuellen Kontrast deutlich und kann so leicht in die Auswertung mit einbezogen werden.

Ablauf

Benötigtes Material

  • Vorbereitung: verschiedene Teilaspekte einer Themenfrage / mehrere Diskursanreize (Frage / Zitat / Thema / Buchtitel / Meinung) als Überschriften für Plakate (Anzahl je nach Gruppengröße, max. 8 Personen pro Gruppe)
  • unterschiedliche Haftnotizzettel in ausreichender Anzahl: farbliche und gestaltliche Variation
  • ein Stift pro Person
  • Möglichkeit zur Differenzierung: Zusatzmaterial, z.B. Beispielassoziationen oder Bildimpulse

Im Folgenden werden zwei Stufen der Methode vorgestellt, die sich zwar auch getrennt einsetzen lassen, konzeptuell aber aufeinander aufbauend auftreten.

Stufe 1: Erst allein, dann zu zweit

  1. Alle Teilnehmenden bekommen einen Stift und einen kleinen Stapel mit Haftnotizzetteln. Je nach Gruppengröße oder Komplexität des behandelten Themas kann in Kleingruppen zu unterschiedlichen Plakaten im Raum mit jeweiligen Fragestellungen gearbeitet werden. In einer zeitlich festgesetzten Arbeitsphase werden zunächst in Stillarbeit freie Assoziationen zur jeweiligen Frage, einem Zitat, Thema oder Buchtitel gepostet. Wichtig ist, dass auf jedem Klebezettel nur ein Gedanke oder Stichwort festgehalten werden soll, es gilt das Prinzip „Mehr ist mehr“ – möglichst viele Beiträge sollen gesammelt werden. Jeder Beitrag ist gleichwertig und wertvoll, es soll keine Gewichtung oder Bewertung stattfinden, sondern eine angstfreie Fehlerkultur geschaffen werden, in der sich alle individuell äußern können.
  2. Nach Ablauf der Einzelstickerphase treten die Teilnehmenden in Austausch mit einer anderen Person ihrer Gruppe und sichten zunächst die auf dem Plakat gesammelten Beiträge. Es folgt eine erste Phase des Clusterings am Plakat; ähnliche oder zusammengehörige Posts werden thematisch gruppiert und umgeklebt. Im Gespräch erfolgt eine initiale inhaltliche Gewichtung der Posts, bisher selbst nicht berücksichtigte Aspekte können integriert oder zusätzliche Beispiele ergänzt werden.
  3. Im Plenum werden nun kurz zu den jeweiligen Plakaten oder nach Arbeitsgruppen in einem Flashlight die ausgewählten Top 3-Posts vorgestellt und die Priorisierung kurz begründet.In dieser ersten Phase werden die Teilnehmenden offen an ein Thema herangeführt und können sich zunächst individuell Gedanken über die präsentierten Fragen machen, bevor sie in geschützter Atmosphäre in Austausch treten. Die Fragestellung kann als Hinführung zur zweiten Phase noch etwas genereller formuliert werden oder ein anderes oder verwandtes Thema fokussieren, um die Arbeitsweise der Methode selbst einzuführen.

Stufe 2: Stickern in Gruppen

Runde 1

  1. Auf Gruppentischen liegen, je nach Gesamtgruppengröße, verschiedene Plakate aus. Je eine abgebildete Themenfrage oder ein Diskursimpuls wird pro Gruppe bearbeitet, dabei darf entweder auf den Tisch oder auf ein größeres Plakat gepostet werden.
  2. Freies Stickern: Die Schülerinnen und Schüler dürfen zunächst unsystematisch – oder bereits nach einem eigenen System – drauflos-stickern, in Einzelarbeit wird in dieser Stillarbeitsphase wieder frei assoziiert, eigene Gedanken dürfen gepostet werden und erste Reflexionen angestellt.
  3. Nach Beendigung der Stillarbeitsphase erfolgt ein erster Austausch in der Gruppe, die Teilnehmenden betrachten die anderen Posts, stellen Fragen und konkretisieren Aussagen. Während der ersten gemeinsamen Strukturierung und räumlichen Anordnung der Haftnotizzettel ist das Posten weiterhin erlaubt; es werden Ideen aufgenommen und weiterentwickelt, neue Assoziationen entstehen in Reaktion auf Beiträge anderer.
  4. Nach dem freien Austausch in der Gruppe erfolgt, wie in Stufe 1, eine inhaltliche Kategorisierung und Gewichtung der Post-its durch Clustering und Um-stickern.

Runde 2:

  1. Die Kleingruppen tauschen Plätze und bearbeiten je ein (oder, je nach Zeitplanung, mehrere) weiteres Plakat und die präsentierte Themenfrage. In dieser zweiten Runde tritt auch der interaktive Fokus der Methode in den Vordergrund; die Teilnehmenden arbeiten nun an bereits erstellten Posts, einer bestehenden Strukturierung und Priorisierung der ursprünglichen Gruppe. Über eine „Kommentarfunktion“ lässt sich gruppenübergreifender Austausch anregen, Posts der anderen Gruppen durch eine Differenzierung der Haftnotizzettel hervorheben. Es dürfen Erweiterungen, Fragen oder Kommentare zu bestehenden Posts dazugestickert oder eine Umstrukturierung vorgenommen werden, das Entfernen bestehender Posts ist aber unerwünscht. Um das Gespräch über diese neue Themenfrage, die bestehenden Postings oder die Gliederung der anderen Gruppe anzuleiten, folgen dieselben Arbeitsphasen wie in Runde 1.
  2. Nach Bearbeitung eines anderen Themas kehren die Gruppen zurück an den eigenen Platz. Es folgt eine Sichtung der Kommentare und Ergänzungen, eventuell aufgekommene Fragen werden diskutiert und weitere Konkretisierungen vorgenommen. Im Austausch mit der eigenen Gruppe werden Überarbeitungen angenommen oder revidiert.
  3. Den Abschluss bildet eine gemeinsame Runde im Plenum, in der sich alle Teilnehmenden über die Methode austauschen und  die Möglichkeit zu einer abschließenden Einschätzung zur Themenfrage oder dem gestellten Impuls bietet. Hier besteht selbstverständlich kein Anspruch auf eine abschließende Beantwortung der komplexen Thematik; die Methode soll der Strukturierung eigener Gedanken und Einstellungen dienen und den Austausch dazu fördern.
  4. Als Alternative zur Feedbackrunde kann, dem Prinzip der Methode folgend, auf ein weiteres Plakat je ein Post-it als Rückmeldung oder stilles Feedback gestickert werden.

Hinweise

  • „Mehr ist mehr“: Je vielfältiger und zahlreicher die Posts, desto mehr Diskussionsimpulse bestehen.
  • Ein Gedanke – ein Sticker: die Teilnehmenden werden dazu angehalten, jedem Posting eine eigene Haftnotiz zu widmen

Quellenverzeichnis

Nach einer Methodenidee des Vereins 10drei e.V.