Hintergrundinformationen

Unsere Vorstellung von der Welt speist sich in besonderem Maße aus einer Vielzahl von Bildern. Seit der Erkundung des Weltalls wird unsere Wahrnehmung von der Welt vor allem von Bildern geprägt, die die Erde teilweise oder in ihrer Gänze von oben zeigen. Overviews, wie diese Bilder aus der Vogelperspektive genannt werden, sind vom sogenannten Overview Effect inspiriert worden, einem Phänomen, das das Innenleben von Astronaut:innen beschreibt, wenn sie unseren Planeten zum ersten Mal aus dem Weltall betrachten (vgl. White 1989). Durch den Blick auf die Erde als einheitliches Ganzes – ikonisch wurden die beiden Bilder Earthrise vom 24.12.1968 sowie die Blue Marble vom 7.12.1972 – verändert sich das menschliche Wahrnehmen, Denken und Handeln: „Erst aus der Entfernung ist es möglich, unsere Heimat als Ganzes zu bewundern“ (Grant 2016, S. 12). So rückten die Schönheit und zugleich die Zerbrechlichkeit der Erde in den Fokus der Betrachtung.

Dies versuchen auch die Fotograf:innen der Organisation Daily Overview mit ihren Bildern zu erreichen, die in dieser Unterrichtsidee verwendet werden. Die Produktion der Aufnahmen folgt grundsätzlich der Annahme, dass aus der regulären Sicht des Menschen auf die Welt – also vom Boden aus – eine vollumfängliche Wertschätzung gegenüber unserem natürlichen Lebensraum, ein Erkennen der Feingliedrigkeit und Komplexität der Systeme, die wir selbst kreiert haben, sowie der verheerenden Auswirkungen menschlicher Aktivität nicht erfolgen kann, und dass aus der Betrachtung dieser Zusammenhänge aus der Overview-Perspektive ein besseres Verständnis dafür entsteht, wer wir als Spezies sind und was zu tun ist, um einen bewohnbaren Planten zu erhalten (vgl. Grant 2016, S. 11f.).

Sicherlich ermöglicht jedes einzelne Bild für sich genommen bereits einen ausschnittartigen Zugang zu einem Teil unserer Welt. Die Summe dieser Bilder stellt die globale Wirklichkeit jedoch viel umfassender dar. Denn sie erzählen von erntenden, schürfenden, wohnenden, fahrenden, gestaltenden, zerstörenden, entsorgenden, feuernden oder spielenden Menschen und machen dabei auf die gestalterische und zerstörerische Kraft der menschlichen Spezies aufmerksam. Sie führen einen durch Forschung und Technik ermöglichten Wandel des Natur-Mensch-Umwelt-Verhältnisses vor Augen und zeigen den enormen ökologischen Fußabdruck von über sieben Milliarden Angehörigen der menschlichen Spezies.

Gerade weil Kommunikation als sprachliche Herstellung von Konsensualität angesehen wird (vgl. Maiwald 2005, S. 79), wird schnell klar, dass es bei der gemeinsamen Wahrnehmung von bilddominierten Medienangeboten nicht primär um eine ausschließlich individuell zu entwickelnde Fähigkeit des Lesens von Bildern geht. Vielmehr ergibt sich die Bedeutung der Bilder erst über eine gemeinsame Verhandlung verschiedener „Lesarten“.

Über eine visuelle oder ästhetische Wahrnehmungsbildung hinaus kann mit dem Ziel einer differenzierten und differenzierenden Sprachlichkeit (vgl. Maiwald 2005, S. 79) auch das Sprechen der Schüler:innen über die Bilder selbst zum Unterrichtsgegenstand gemacht werden. Zum Beispiel ist bei der Interpretation der Bilder von Bedeutung, ob es sich um eine deskriptive, normative oder voraussagende Interpretation der Bildreihe handelt (vgl. Hoiß 2019, S. 289ff.). Beschreiben die Schüler:innen die Bilder nur oder mischen sich auch wertende Äußerungen darunter, die z.B. ihre Abscheu oder ihr Unverständnis ausdrücken? Eventuell finden sich in der Diskussion auch Beiträge, die vom Bild ausgehend Voraussagen über die Zukunft treffen. Normative und deskriptive Ebene vermischen sich beispielsweise dann, wenn eine Verantwortung des Menschen für den Planeten, die Umwelt, andere Spezies oder künftige Generationen abgeleitet wird oder wenn man einen Appell oder eine Schuldzuschreibung herausliest.

Ablauf

Benötigtes Material

Digital verfügbar:

  • Präsentation mit Overview-Bildern (s. Quellenverzeichnis: Grant)
  1. Die Lehrperson führt ein Bilderrätsel mit beispielhaft ausgewählten Overview-Bildern durch. Eine Orientierungshilfe für die Auswahl der Bilder bieten die neun Kapitelüberschriften aus Grants Bildband Overview: Wo wir ernten, schürfen, feuern, wohnen, fahren, gestalten, spielen, entsorgen und wo wir nicht sind (vgl. Grant 2016, S. 9). Man beginnt mit der Präsentation eines Ausschnitts aus einem Overview-Bild, den man durch Hineinzoomen in das Bild erzeugen kann, und fordert die Schüler:innen lediglich dazu auf, zu beschreiben, was sie sehen. Um auf der deskriptiven Ebene zu bleiben, sollte die Eingangsfrage schlicht „Was seht ihr?“ (statt z.B. „Was könnte das sein?“) lauten und bei jedem Bild neu gestellt werden. Es ist anzunehmen, dass die Schüler:innen von Beginn an versuchen werden, dem gezeigten Bild Sinn zuzuschreiben und seine Bedeutung zu erschließen.
  2. Im Laufe des diskursiven Rateprozesses kann schrittweise immer weiter aus dem Bild herausgezoomt werden, bis schließlich im Endzustand die Perspektive des Bildes erkannt ist oder von der Lehrperson aufgelöst wird.
  3. Die sich anschließende Diskussion mündet in die Reflexion über die Rolle von Sprache in der Beschreibung. Aufgrund des hohen Anspruchs sollte die Lehrperson einige sprachliche Äußerungen der Schüler:innen mitprotokolliert haben, anhand derer sie etwa den deskriptiven, normativen oder voraussagenden Charakter der Beiträge aufzeigen und erklären kann. Dadurch werden die sprachreflexiven Fähigkeiten der Schüler:innen im Sprechen über Sprache und deren Funktionen und Leistungen gefestigt. Die Schüler:innen lernen, ihren Sprachgebrauch bewusster zu gestalten, entwickeln einen geschärften Blick dafür, dass sich sprachliche Welterschließung, Bedeutungszuschreibungen und nicht zuletzt kommunikatives Verhalten immer auf der Wort-, Text und Diskursebene realisieren. Sie lernen außerdem, dass die Bedeutung eines Bildes oder bilddominierter Medienangebote intersubjektiv auf diskursive Weise verhandelt werden muss.

Hinweise

Denkbar ist auch eine Durchführung der Unterrichtseinheit mit anderen ähnlichen Luft- oder Satellitenaufnahmen.

BNE-Kompetenzen

In dieser Unterrichtseinheit werden folgende BNE-Kompetenzen von Lernenden besonders gefördert.

  • Globale Zusammenhänge erkennen und neue Perspektiven ausbauen: Die Schüler:innen entwickeln ein Bewusstsein für den Einfluss globaler menschlicher Aktivität auf die Umwelt.
  • Fächerübergreifend Erkenntnisse gewinnen: Die Schüler:innen erkennen die Bedeutung von Sprache bei der Konstruktion von Welt und nehmen eine Reflexion der Wertvorstellungen vor, die durch Sprache transportiert werden.

  • Gemeinsam mit anderen planen und handeln: Die Schüler:innen tauschen sich gemeinsam über das (historische) Verhältnis der Menschen zur Natur sowie subjektive Sinnzuschreibungen bei der Bildbetrachtung aus.
  • Zielkonflikte bei der Reflexion über Handlungsstrategien berücksichtigen: Die Schüler:innen vollziehen Beweggründe menschlicher Aktivitäten anhand der Bilder nach und machen dabei auf die gestalterische und zerstörerische Kraft der menschlichen Spezies aufmerksam.

  • Selbstständig planen und handeln: Die Schüler:innen handeln Sinnzuschreibungen diskursiv aus und lernen dadurch, ihren Sprachgebrauch bewusster zu gestalten, zu entwickeln und dessen Bedeutung im Diskurs zu überdenken.
  • Die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren: Die Schüler:innen reflektieren über die eigene und kollektive Wahrnehmung und Beschreibung von Bildern sowie Möglichkeiten und Grenzen medialer Vermittlung von Wirklichkeit.

Mehr Informationen zum Zusammenhang von BNE-Kompetenzen von Lernenden und Lehrenden

Quellenverzeichnis

Daily Overview (o.J.): Mission. Abrufbar unter: http://www.dailyoverview.com/about (Stand: 18.09.2023).

Grant, Benjamin (2016): Overview. Faszinierende Bilder unserer Erde aus dem Weltall. München: Dorling Kindersley.

Hoiß, Christian (2019): Deutschunterricht im Anthropozän – Didaktische Konzepte einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Abrufbar unter: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/24608/1/Hoiss_Christian.pdf (Stand: 18.09.2023).

Maiwald, Klaus (2005): Wahrnehmung – Sprache – Beobachtung. Eine Deutschdidaktik bilddominierter
Medienangebote. München: Kopäd.

White, Frank (1989): Der Overview-Effekt. Die erste interdisziplinäre Auswertung von 20 Jahren Weltraumfahrt. Bern, München, Wien: Scherz.